Kürzungen mit Folgen
Der Paritätische Thüringen warnt vor dem drohenden Kollaps der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte und fordert eine Abkehr von der Politik der unzureichenden Finanzierung.
Hintergrund: Vom 29. September bis 3. Oktober 2025 ruft die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zur bundesweiten Aktionswoche für die Migrationsfachdienste auf. Ziel ist es, politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Vorfeld der Haushaltsberatungen für 2026 von der unumstößlichen Notwendigkeit der Migrationsfachdienste zu überzeugen. Diese sind eine zentrale Säule der Integrationsarbeit in Deutschland und das unverzichtbare Scharnier zwischen Zuwanderinnen und Zuwanderern sowie der deutschen Gesellschaft, um Integration zu ermöglichen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
Pressemitteilung:
In den letzten Jahren sind fast zwei Millionen zugewanderte und geflüchtete Menschen nach Deutschland gekommen. Die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderte (MBE) bietet diesen Menschen eine essenzielle Orientierung und Unterstützung in allen Lebenslagen, von Fragen zu Ausbildung, Sprache, Arbeitsmarkteinstieg bis hin zu sozialer und kultureller Teilhabe.
Doch diese wichtige Arbeit steht auf wackeligen Beinen. Die Finanzierung der MBE erfolgt überwiegend aus Bundesmitteln, die im Jahr 2024 bereits von 81,5 Millionen Euro auf 77,5 Millionen Euro gekürzt wurden. Während die Entscheidungen über die Finanzierung im Bund getroffen werden, sind die Auswirkungen einer unzureichenden Ausstattung vor allem auf Landes- und kommunaler Ebene zu tragen. Viele Migrationsfachdienste stehen am Scheideweg. Die Kürzungen bedrohen nicht nur die Qualität der Beratung, sondern gefährden die Existenz der Träger.
Die prekäre Situation hat drei gravierende Dimensionen, die der Paritätische Landesverband Thüringen mit Nachdruck kritisiert:
- Die Perspektive der Ratsuchenden: Fehlende Unterstützung mit bitteren Folgen
Wenn die MBE-Stellen ihre Aufgaben aufgrund der angespannten Finanzlage nicht mehr bedarfsgerecht erfüllen können, sind die Folgen für die Ratsuchenden verheerend:
- Verlust an Orientierung und verlängerte Unsicherheit: Die Menschen stehen oft vor komplexen behördlichen Anforderungen und kennen das Behördensystem (Arbeitsagentur, Sozialleistungen, Schule, Krankenkassen etc.) in Deutschland nicht. Ohne Migrationsberatung fehlt die zentrale Anlaufstelle, die diesen Dschungel verständlich macht. Anträge bei Behörden (z. B. Aufenthalt, Sozialleistungen) dauern länger oder werden falsch gestellt. Das verstärkt Unsicherheit, die psychische Belastung und existenzielle Ängste.
- Integrationshemmnisse nehmen zu: Ohne die Vermittlung der Menschen in Sprachkurse findet keine Sprachförderung statt. Der Arbeitsmarktzugang wird erschwert, wenn die Menschen beispielsweise nicht bei Berufsanerkennungsverfahren begleitet werden. Wenn die Menschen nicht wissen, welche Vereine, Bildungsangebote es vor Ort gibt, können sie nicht am sozialen Leben teilhaben.
- gesellschaftliche Perspektive
- Überforderung von kommunalen Strukturen und der sozialen Infrastruktur: Jobcenter, Ämter und öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Kitas geraten durch die komplexen Anliegen von Zugewanderten und Geflüchteten an ihre fachlichen, personellen und zeitlichen Grenzen.
- Steigende Kosten durch verlangsamte Integrationsprozesse: Ohne frühzeitige und fachgerechte Beratung steigen die Folgekosten (z. B. durch Arbeitslosigkeit, Sozialleistungen, Konflikte, steigenden Unterstützungsbedarf der Menschen).
- Arbeitskräftepotenzial bleibt ungenutzt: durch fehlende Anerkennung von Berufsqualifikationen, verfestigte sprachliche und bürokratische Hürden und fehlende Begleitung in den Berufseinstieg in Berufe, die vom Fachkräftemangel betroffen sind (z. B. Pflege, Handwerk etc.)
- Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts: Fehlt die professionelle Begleitung, wächst die Gefahr von Ausgrenzung, Isolation und Frustration. So entstehen Gräben zwischen Zugewanderten und Aufnahmegesellschaft, die den sozialen Frieden unter Druck setzen.
- Die Perspektive der Träger: Die Prekarisierung einer Schlüsselaufgabe
Die Träger der MBE geraten durch die sinkende und oft verspätete Auszahlung von Fördermitteln in eine existenzielle Notlage:
- Unzureichende Ausstattung: Die Angebote können kaum noch sinnvoll aufrechterhalten werden. Personalstellen können nicht bedarfsgerecht besetzt und notwendige Qualifizierungen nicht finanziert werden.
- Unsicherheit und Vertrauensverlust: Die fehlende Verlässlichkeit in der Finanzierung führt zu Unsicherheit bei den Mitarbeitenden und erschwert langfristige Planungen.
- Finanzielle Schieflage: Die Träger müssen in Vorleistung gehen, um die fehlenden Bundesmittel zu überbrücken, was sie in eine prekäre finanzielle Situation bringt und die Fortführung der Angebote massiv erschwert.
Die Migrationsfachdienste sind das Fundament einer funktionierenden Einwanderungsgesellschaft. Sie leisten einen unschätzbaren Beitrag zur Prävention von Radikalismus, indem sie Perspektiven und Teilhabe ermöglichen. Angesichts dieser klaren Schmerzpunkte ist eine verlässliche und bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung der Migrationsberatung und anderer Integrationsprogramme im Bundeshaushalt 2026 unerlässlich. Wir appellieren an die Bundespolitik, ihre Verantwortung gegenüber den Kommunen, der Zivilgesellschaft und den Ratsuchenden wahrzunehmen und die Migrationsfachdienste nicht zu opfern.

Kontakt
Dirk Büttner
Referent Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit
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Layout | Design | Webauftritte
Tina Manes
Mitarbeiterin Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit