Neudietendorf, 29.11.2024 | Der Paritätische Thüringen sieht die Einigung der Parteien auf einen Regierungsvertrag als wichtigen und notwendigen Schritt hin zu einer arbeitsfähigen und stabilen Regierung. „Grundlegend ist gerade der Haushalt essenziell, um Versorgungen zu sichern und dringend notwendige Projekte voranzutreiben. Unsere Einschätzungen zum vorliegenden Regierungsvertrag fokussieren sich auf die fachlichen Aspekte der Vereinbarungen und wie wir in das Weiterarbeiten kommen – parteipolitische Standpunkte bleiben außen vor“, betont Stephan Panhans, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Thüringen.
Der Paritätische Thüringen hat sich sechs zentrale Positionen aus dem Regierungsvertrag von CDU, BSW und SPD vorgenommen und aus Sicht der Fachbereiche analysiert und bewertet. „Klar ist, dass es für alle Bereiche enorm wichtig ist, die Digitalisierung voranzutreiben. Hier sollte schnellstens eine progressive Landesstrategie erarbeitet werden“, hält Panhans fest. Die Ergebnisse des Expert*innenchecks geben einen Einblick, welche Chancen und Herausforderungen die vereinbarten Vorhaben für Thüringen bieten.
Thema 1: Pflege
„Ärzte & Fachkräfte gewinnen – Medizinische Versorgung sichern“ (S. 60 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Britta Richter, Referentin Pflege, Hospiz & Seniorenwirtschaft
Die künftige Landesregierung plant zurecht eine große Personal- und Strukturoffensive innerhalb des Gesundheits- und Pflegebereichs. Das ist gut und richtig. Hier geht es aber auch darum, bundesgesetzliche Vorgaben kritisch zu beleuchten. Thüringen muss sich auch im Bund für eine stringente Entbürokratisierung im Gesundheitswesen einsetzen.
Was braucht es?
Benötigt wird eine interministeriell gesteuerte Personaloffensive Pflege, die u.a. folgende Kernpunkte umfasst:
- Erstausbildung von Fach- und Hilfskräften stärken
- Verzahnung und Vernetzung von Studium und Weiterbildung
- Optimierung der Pflegefachkraftanwerbung aus Drittstaaten
Insgesamt gilt: Nicht mehr Geld ins System, sondern mehr System ins Geld. Doppelstrukturen sind zu vermeiden und bestehende Struk-turen sind auf ihre Effizienz und Weiterentwicklungsmöglichkeiten hin zu prüfen.
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier ab Seite 16.
Thema 2: Ehrenamt
„Ehrenamt & Zivilgesellschaft stärken – Staatsziel Ehrenamt mit Leben füllen“ (S. 105 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Andreas Kotter, Referent der Geschäftsleitung, Vorstand, Ehrenamt und Sandra Eggers, Fachliche Koordinatorin Mitgliederservice
Zivilgesellschaft ist die Basis unserer Demokratie. Der Paritätische Thüringen begrüßt daher, dass die künftige Landesregierung die Ehrenamtsförderung ernst nimmt. Begrüßt wird die Stärkung der Thürin-ger Ehrenamtsstiftung als Hauptakteur in der Engagementförderung. Hier gibt es gute Kooperationen und Partizipationsmöglichkeiten zu den weiteren Akteuren in der Engagementlandschaft. Dank des Ver-fassungsrangs ist die Bedeutung der Ehrenamtsförderung seit April 2024 als Staatsziel hoch. Nun gilt es, mit dem im Juni 2024 noch verabschiedeten Ehrenamtsgesetz, das darin involvierte Landespro-gramm Ehrenamt ab 2025 zum Erfolg zu führen.
Was braucht es?
- eine Landesengagementstrategie mit Federführung in der Staatskanzlei
- Stärkung bestehender Strukturen der Engagementförderung, um den Herausforderungen vor Ort zu begegnen: viele Vereine haben große Probleme Nachwuchs zu finden, sowohl im Vorstand als auch in Funktionsträgerschaften.
- über Traditionen hinausdenken: Ehrenamt ist vielfältiger als nur von Traditionen geprägt. Es gibt viele neue Engagement-formen, die auch durchaus kurzfristiger und projektbezogen sind.
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier auf Seite 6.
Thema 3: Frauen & Familie
„Unterstützung für Frauen – Beratung & Schutz Verbessern“ (S. 64 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Julia Hohmann, Referentin für Frauen & Familie
Die Landesregierung hat sich dafür ausgesprochen, die Istanbul- Konvention umzusetzen. Wir begrüßen an dieser Stelle ausdrücklich, dass die Finanzierung und somit auch die Hilfsangebote flächendeckend sichergestellt werden sollen. Herausfordernd bleibt die Entwicklung eines inklusiven barrierefreien Gewaltschutzes. Es braucht keinen zusätzlichen Maßnahmeplan zur Gewaltbekämpfung. Stattdessen muss die Umsetzung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Is-tanbul Konvention in Thüringen unter Einbeziehung der Fachexpertise aus dem Beirat Gewaltschutz stringenter verfolgt und politisch unterstützt werden. Papier ist geduldig – wir sind es nicht.
Was braucht es?
- die Sicherstellung der Haushaltmittel für die Umsetzung des Chancengleichheitsfördergesetz durch die Verankerung einer Mindestfördersumme von 15 Mio. Euro
- eine landesweite Strategie für die Etablierung einer barriere-freien Hilfelandschaft
- für die Begleitung, Umsetzung und Evaluation des Landesaktionsplans braucht es neben einer Strategie auch die finanzielle Untersetzung in den jeweiligen Ministerien.
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier ab Seite 13.
Thema 4: Jugendarbeit
„Jugend stärken & Mitbestimmung fördern – Chancen für die Zukunft sichern“ (S. 69 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Nicole Offhaus, Referentin für Migration, Jugendar-beit, Jugendsozialarbeit, Freie Schulen
Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Absicherung der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendverbände durch die Sicherung bestehender Landesförderungen entspricht dem Anliegen des Paritätischen. Auch der Fokus auf demokratische Bildung in der außerschuli-schen Jugendbildung sowie die Sicherung der Jugendberufshilfe an der Nahtstelle von Jugendhilfe, Arbeitsmarkt und Wirtschaft unterstützt der Paritätische. Die Stärkung einer eigenständigen Jugendpolitik durch ressortübergreifende Zusammenarbeit, die Umsetzung der „Landesstrategie Mitbestimmung“ und die Entwicklung eines Maß-nahmenpakets sind Schritte, die der Paritätische als notwendig erachtet, um die Bedürfnisse junger Menschen umfassend zu adressieren. Benötigt wird eine nachhaltige Strategie des Landes, die an der Lebenswirklichkeit junger Menschen ansetzt, um sie gezielt und wirksam zu stärken.
Was braucht es?
- Sicherung und auskömmliche Finanzierung bestehender Landesförderungen und Projekte
- Weiterentwicklung der Unterstützungsangebote für junge Menschen im Übergang von Schule zu Beruf
- eine Ausstattungsoffensive und Praxisentwicklung in den Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit im Bereich der Digitalisierung
- Schaffung von Förderprogrammen zur flächendeckenden Praxisentwicklung und verlässlichen monetären Rahmenbedingungen zur Entwicklung einer inklusiven Jugendhilfe
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier ab Seite 9.
Thema 5: Sucht & Psychiatrie
„Starker öffentlicher Gesundheitsdienst – Rahmenbedingungen & Personal sichern“ (S. 64 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Regina Hartung, Referentin für Gesundheit, Selbsthilf, Suchthilfe, Psychiatrie & Eingliederungshilfe
Es ist richtig und wichtig, den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und vor allem die Gesundheitsförderung und Prävention in den Fokus zu nehmen. Jedoch ist es genauso wichtig, bereits vorhandene Struk-turen zu stärken. Denn im Bereich der Suchtprävention gibt es in Thü-ringen bereits mehrere gut etablierte Präventionsfachstellen. Hier lohnt es sich, diese weiterzuentwickeln, statt etwas Neues in Form einer zentralen Koordinierungsstelle zu etablieren. Im Gegenteil dazu stellt die Implementierung eines psychiatrischen Krisendienstes eine unabdingbare Versorgungsstruktur dar, die Thüringen dringend benötigt.
Was braucht es?
- eine auskömmliche und verstetigte Finanzierung der Suchtberatung als kommunale Pflichtaufgabe
- vorhandenes Wissen nutzen und die Aufgaben dort belassen, wo die Fachexpertise bereits liegt
- die Etablierung eines Krisendienstes mit verschiedenen Professionen
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier ab Seite 19 & 23.
Thema 6: Migration
„Richtungswechsel in der Migrationspolitik – Steuerung statt Überforderung“ (S. 46 des Regierungsvertrags)
Einschätzung von Nicole Offhaus, Referentin für Migration, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Freie Schulen
Die getroffenen Aussagen im Koalitionsvertrag lassen kaum Maßnahmen erkennen, die notwendig sind, um ein gelingendes Ankommen in den Kommunen sowie die Integration zugewanderter Menschen in die Thüringer Aufnahmegesellschaft zu ermöglichen. Die langfristige Integration von Geflüchteten in Thüringen kann nur durch ein gelungenes Projektförderungskonzept u. a. zur Förderung von Maßnahmen der (Erst-)Beratung und der sozialen Teilhabe sowie der beruflichen Integration in den Arbeitsmarkt gelingen.
Die künftige Landesregierung plant die Schaffung einer zentralen Landesausländerbehörde. Dieses Vorhaben ist zu begrüßen, wenn die Landesausländerbehörde als eine "Willkommensbehörde" etabliert wird, die neben der physischen Sicherheit und Versorgung von geflüchteten Menschen auch die psychosoziale Unterstützung und ge-sellschaftliche Teilhabe in den Blick nimmt. Die vorgesehene Zentralisierung aller ausländerrechtlichen Maßnahmen bei einer Landesbehörde lehnt der Paritätische Thüringen ab und fordert, dass die ausländerrechtliche Zuständigkeit unabhängig vom Aufenthaltsstatus für die gesamte Dauer des Aufenthaltes bei der örtlichen Ausländerbehörde liegt. Die Schaffung von Abschiebehaftplätze für Ausreisepflichtige lehnt der Paritätische ebenfalls ab.
Die Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenach sollen geschlossen werden und Personen mit geringer Bleibeperspektive sollen nicht auf die Kommunen verteilt werden. Es stellt sich die Frage, wo diese Personen untergebracht werden sollen. Der Paritätische Thüringen spricht sich ausdrücklich dagegen aus, geflüchtete Menschen nach ihrer (negativen) Bleibeperspektive als Verteilkriterium zentral zusammenzufassen.
Von der neuen Landesregierung ist die Umsetzung der Bezahlkarte vorgesehen. Dies sollte weitestgehend diskriminierungsfrei erfolgen, d.h. dass Datenschutz gewährleistet wird, die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglicht wird (z. B. für Telefonverträge etc.), keine örtliche Beschränkung stattfindet und kein Ausschluss bestimmter Waren und Dienstleistungen vorgesehen ist.
Was braucht es?
- eine landesweite Vernetzung und Kooperation zwischen den öffentlichen Einrichtungen, dem Gesundheitswesen, Trägern der freien Wohlfahrtspflege und den Geflüchteten
- integrationsfördernde frühzeitige gut organisierte dezentrale Unterbringung
- Einsatz für die flächendeckende Bereitstellung von Asylver-fahrensberatung (AVB) und Unterstützung durch Landesmittel als Drittmittel
- Sicherung und Ausbau der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) durch angemessene Kofinanzierung aus Landesmitteln
- Schaffung eines großzügigen Zugangs zum Arbeitsmarkt für Zugewanderte, die bereits in Thüringen sind
- Sicherstellung eines flächendeckenden, qualifizierten Sprach- und Integrationskurskursangebotes
Mehr dazu finden Sie in unserem Grundlagenpapier ab Seite 20.
Für weitere Informationen und Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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